Eine alpine Gratüberschreitung mit 6-7 Gipfeln in den Loferer Steinbergen. Diese fordernde Tour mit 2200hm war gewaltig schön, hat aber auch schmerzhafte Souvenirs an mir hinterlassen…
12 Stunden Gehzeit steht am Wegweiser, um den Pillersee wabern jetzt frühmorgens noch Nebelschwaden. Es wird kein Spaziergang, sondern eine alpine Tour. Bergsteigen, zum grossen Teil im Absturzgelände – keine unkonzentrierte Genussdahinwanderei – sollte man bei dieser Tour im Hinterkopf behalten. 3.5 Liter Wasser trage ich mit, es gibt unterwegs keine Quellen /Auffüll-Möglichkeiten geschweige denn Hütten. Keine vorzeitigen Abstiegsoptionen am Grat. Das Wetter könnte besser nicht sein, etwas bedeckt und angenehm frisch. Mein Zeitplan ist straff, ich will nachmittags retour sein – ab 16 Uhr steigt das Gewitterrisiko. Wie schnell – kurz vor dem letzten Gipfel – sich der weitere Verlauf ändern kann, egal wie vorsichtig man ist, zeigt diese Tour…

TOURDETAILS 13. August
Start: St. Ulrich am Pillersee 847m (Parkplatz vorm oder beim Sportplatz, Tagestarif 3 Euro Automat wechselt nicht) – Heimkehrerkreuz 2030 (Ulrichshörndl) – Ulrichshorn / Seehorn 2155 – Adolari Scharte – Schaflegg 2176 – (Abstecher zum Rothörndl 2395 möglich) – Gr. Rothorn 2409 – Östl. Rothorn 2402 – Ulricher Nieder 2315 (!) – Mitterhorn (Hinterhorn) 2506 (x) – via Schneegrube ins Lastal – Weissleiten – zurück zum Pillersee
Schwarz markiert, nur teilweise am Anfang seilversichert und im senkrechten Abstieg in die Adolarischarte. SCHWERE Bergtour, für Anfänger/Kinder aufgrund der Länge & Ausgesetztheit nicht geeignet
Alpine Erfahrung ab Gipfel Nr. 2 (Seehorn) unbedingt notwendig, Kletterpassagen I-II, ausgesetzt & Absturzgelände
Ca. 2200hm, ca. 18 km
KEIN Klettersteig (keine durchgehende Seilversicherung!), KEINE Notabstiege, KEINE Quellen! FELSSTURZ-Gefahr – Steinschlaghelm unbedingt einpacken! Falls der Klettersteig (B/C) am S/W Grat des Mitterhorns begangen werden will, Ausrüstung obligat
Alternativ Abstieg: vom Mitterhorn nach Osten zur Schmidt Zabirow Hütte 1966m (ca. 1,5h) und von dort ins Saalachtal
Hinweis: Nuarach ist der alte Name für St. Ulrich. Uneins sind teilweise die Gipfelnamen – auf Karten & Wegweisern. Da sind sich selbst Einheimische nicht einig. Deswegen verwende ich einfach jeweils beide. Auf einem Gipfel ist es besonders prägnant. Da steht vorne Mitterhorn und auf der Hinterseite des Kreuzes „Hinterhorn“ – nachschauen, wer es nicht glaubt…
EIGENVERANTWORTUNG, GEWISSENHAFTE TOURENPLANUNG UND GUTE SELBSTEINSCHÄTZUNG TRAGEN ZUR EIGENEN SICHERHEIT BEI!
Vom Pillersee zum Heimkehrerkreuz 2030m
Wach bin ich spätestens, als um kurz nach halb Sieben die ersten steilen Serpentinen im Wald meinen Puls nach oben treiben. Über 1000hm stehen bereits vor dem ersten Gipfel auf der Liste. Über der Baumgrenze, beim ersten Latschen-Tango, öffnet sich auch das Fenster zum Ausblick in die Kitzbühler Alpen, auf das mächtige Kreuz der Buchsteinwand, den (Wildsee)Loder, den Koasa und vor allem auf den Teil der Loferer Steinberge, die mich in den nächsten Stunden am Grat entlang sowie auf und ab schicken. Ab 1950m starten die ersten Seilversicherungen, die bis zum Gipfel führen. Der oft brüchige Fels und geröllige Passagen lassen erahnen, was sich oben vermehrt finden wird. Vom Heimkehrerkreuz (Ulrichshörndl) hat man einen schönen Blick auf den Pillersee! Den geniesse ich genau ab 08.45 eine Müsliriegellänge, bevor ich mich direkt zum nächsten Ziel aufmache. Ab jetzt beginnt der eigentliche „Höhenweg“. Es wird zum ersten Mal der weitere Verlauf sichtbar – geh leck, was für eine Strecke! Freude! Mit den ersten Sonnenstrahlen passiert dann auch der erste Blickkontakt mit der markanten Pyramide in den Loferern – dem Mitterhorn 2509m.









Vom Seehorn 2155m ins ausgesetzte Gelände – am Grat entlang
Unter mir springt eine Gamsfamilie vorbei, über mir nur felsige Platten. Nach einer weiteren, kurzen Seilversicherung trennen mich nur noch wenige Höhenmeter und die erste Kraxel-Aufwärmübungen von Gipfel Nr. 2, Ulrichshorn / Seehorn 2155m. Die Beschriftung auf Karte / Wegweiser ist sich nicht einig. Stimmen tut scheinbar beides. Einmal drehen, 360 Grad Panorama einsaugen. Ab hier wird’s dann aber wirklich ausgesetzt und man bewegt sich zu 90% im Absturzgelände. Der Fels ist noch großteils kompakt und vor allem: staubtrocken. Wunderbar! Der Ausblick auf den weiteren Tourenverlauf ist auch sichtbar: über den grasigen Grat und das Schaflegg 2176 (kein Gipfelkreuz, nur Stoamandl) folgt ein versicherter, senkrechter Abstieg in die Adolarischarte. Hinter mir blitzt der Grossvenediger, die Zillertaler Alpen – grosses Kino! Hier würden so einige gewaltige Fotos entstehen – da ich aber alleine unterwegs bin und die Zeit im Nacken habe, muss es auch ohne gehen. Der Tripod hilft nur bei gewissen Einstellungen, einen Menschen hinter der Kamera ersetzt er leider nicht. Danach kann man zwar ausgesetzt immer am Grat entlang aber technisch unschwierig dem Steig folgen und etwas durchatmen. Erst hier treffe ich auf zwei Bergsteiger, die mir entgegen kommen – die ersten auf der ganzen Tour…








Blockkletterei und Rotpunktsuche in der Scharte
Und dann steht man am Mond – zumindest schaut diese Karstpassage im riesigen Felskessel so aus. Spätestens hier: HELM auf! Das queren geht noch problemlos, im Aufstieg wird die Wegfindung etwas mühsam teilweise. Durch viel Geröll und Felsrutschungen liegen nicht mehr alle Rotpunkt-Markierungen so, wie es Sinn machen würde. Ungesicherte Blockkletterei im I-II Grad, eine schöne Abwechslung. Fotos vom kraxln würden sicher sehr cool aussehen – leider keiner sonst anwesend. Mittig führt die Route dann in die Scharte zwischen Rothörndl & Gr. Rothorn. Das Rothörndl 2395m habe ich mir als Extragipfel gespart, um wegen der Gewittergefahr nicht zu spät mit dem Abstieg zu starten. Wäre ein schöner, knackigen Zusatzgipfel (ca. 30min extra für den Aufstieg vom obersten Punkt der Scharte berechnen). Für mich gehts rechts weiter, zu meinem auserkorenen Mittagsplatzal: dem Gr. Rothorn 2409m. Das Timing könnte nicht besser sein, es ist kurz vor 12 Uhr.




Mittagsfreuden am Gr. Rothorn 2409m
Just in dem Moment als ich meinen Rucksack auspacke, frischt der Wind auf. Ich dreh mich Richtung Saalachtal und sehe – nix mehr. Fette Nebelschwaden schieben sich vom Tal nach oben. Das wars mit Jause, die kann auch noch a bissal warten. Das Pillerseetal noch komplett im Sonnenschein. Nach nur 5 Minuten verschnaufen mach ich mich auf Richtung östliches Rothorn 2404 (markiert nur durch ein paar Stoamandln, der Nebel ist fast weg) und in weiterer Folge in Richtung Ulrich Nieder 2315m abzusteigen – dort warten lt Tourenplanung ganze fies scharfkantige, brüchige Felsen und loses Geröll. Aus diesem Grund bin ich extra langsam und super vorsichtig unterwegs. Danach wartet nur der erneute Aufstieg zum letzten Gipfel der Runde, dem Mitterhorns und danach der laaange Abstieg ins Lastal.




Ein Felsbrocken & eine Schutzengel-Armada

12. 30 Uhr steht in den Fotoinfos. Das letzte Bild.
20 Minuten später bricht beim abklettern am Ulrich Nieder neben mir ein Felsbrocken aus und nimmt mich ein Stück mit nach unten. Einfach so. Keiner sonst da. Der Fels daneben, den ich griff, war fest. Nach 3 Metern bleibt er liegen und ich kurz danach auch. Glück im Unglück. Es kann immer was passieren – ich bring mich aus der Falllinie, falls noch Steine nachkommen, setze mich hin und atme ganz tief. Adrenalin. Tactical Breathing, zur Beruhigung. Gelernt samt Rettungstechniken auf der Alpinmesse.


Das zittern hört langsam auf, der Kopf wird klarer. Abtasten, lockern. Knie, Knöchel, Schulter – gebrochen ist nichts, aber getroffen wurden sie alle. Verbandszeug raus, die drei tieferen, offenen Wunden auf beiden Beinen versorgen. Rechts die Fingerknöchel und aufgerissenen Kuppen verkleben. Die restlichen Abschürfungen sind egal. Ich weiss nicht, ob ich 5 oder 10 Minuten gesessen bin und es ist egal. Im ersten Moment sieht es nicht schlimm aus. Kurzes Überlegen. Ich bin stabil, Schmerzen ertragbar.
Aufstehen. Abschütteln. Einfach weiter Ri Mitterhorn gehen… und dann weitersehen. Die Uhr und den Himmel im Blick.

Entscheidung auf 2400m
Am hängenden Wegweiser, 100m unterhalb des Mitterhorns 2506m, angekommen. Der Himmel spendiert einen 3 Minuten Erfrischungsguss aus leichtem Niesel und spült so wenigstens das Blut auf den Haxn weg, dass trotz Verband rausquillt. Beim bergauf und bergab gehen mit offenen Wunden ist das auch klar. Kurz Hinsetzen. Nachdenken. Aber meine Entscheidung ist gefallen – gegen den Gipfel und für einen sofortigen Abstieg. Auch wenn er zum Greifen nahe ist. Lächeln kann ich da nicht mehr… Denn der Abstieg ist dort oben mit 3.30h angegeben und wird einer der besch* seit langem. 1700hm – a wirkliche Oarschpartie. Ewig viel loses Gestein, steile Serpentinen. Später Geröll im steilen, ausgesetzten Kar der Schneegrube. Zumindest im trockenen. Zumindest im ersten Teil…



Abstieg mit Dusche im Schneegrubenkar
Pünktlich zur Vorhersage der ZAMG geht um 16.00 die Welt a bissi unter. Starkregen. Riesel (Mini-Hagelschauer). Aber kein Gewitter. Da will ma nimmer oben am Grat unterwegs sein… Zu der Zeit hab ich schon 800hm Abstieg in den lädierten Haxn, befinde mich mitten im Latschentango auf etwa 1600m. Der Abstieg bis hier hin die Hölle, trotz Stecken (ja, wirklich). Und 800 san’s nu zruck zum Pillersee!

Auf 1400m ist eine kurze Regen-Absitzpause bei einer Hütte drin. Plus: nötiger Verbandswechsel. Und endlich Zeit, mei Kasbrot zu Essen.
Des wär mir aber fast vergangen, als i gsehn hab, wie tief das Loch im Schienbein rechts ist. Vom Abstieg zeigt sich der Cut in voller Pracht. Euch erspar i den Anblick. Ein Hoch auf Steri-Strips (Wundnahtstreifen) – das einzige, was da noch Sinn gmacht hat… und die Einsicht, dass nach dem Abstieg ein Ausflug in die Notfallambulanz fällig wird! Wie zwieda meine Knie und der linke Knöchel waren, davon red ich erst gar nicht. Wen a immer diese Hüttn gheart (unterhalb von an Jagastand) – lieben Dank dass i mi unters Dachl sitzn derfn hab! Und danke an den Arzt aus Kempten, der sich zufälligerweise genau dort mit seinen beiden Teenies untergestellt hat – i bin ehrlich gsagt ganz froh, dass du dein Näh-Set nicht vor Ort mit ghabt hast…
Unverhofft kommt oft: wenn der Lasbach zum Wildbach mutiert
Und weils noch nicht genug war, kam der wilde Lasbach 1h nach den heftigen Regenfällen angerauscht und hat zwei Wegquerungen zur „welchersteinbringtmichansandereufer“ Challenge verwandelt… Normalerweise is da grad nix, goa nix! Kein Rinnsal. Springen war da aber ehrlich gesagt wirklich nicht mehr so meins… Der weitere Abstieg erfolgt über a feines Waldwegerl, eine Forststrasse und den ewigen Hatscher zurück via Weissleitn zum Pillersee / Parkplatz. Und von dort mit dem Auto direttissima nach Bad Reichenhall in die Notaufnahme… und zur Versöhnung spendiert Petrus mir eine Portion rosa Sonnenuntergangs-Bergromantik





WARUM ich KEINE BERGRETTUNG gerufen habe
Klartext auf die meist gestellte Frage: solange ich stabil bin und gehen kann, steige ich auch ab. Wäre ein Einsatz per Heli Wetterbedingt noch drin gewesen? Vielleicht. Oder hätten die Retter sowieso eigenständig zu Fuss stundenlang bis zu mir aufsteigen müssen? Im nachhinein kann man oft nicht nachvollziehen, warum man so gehandelt hat. Die Entscheidung liegt nur bei mir, die Einschätzung der Verletzungen auch – ich weiss, wann es für mich keinen Sinn mehr macht und kenne meine Grenzen. Und ich glaube, es war mir einfach wichtig, die Tour selbst zu beenden und erhobenen Hauptes wenn auch lädiert von den Loferern runter zu kommen. A Sturschädel plus mentale Stärke blendet Schmerzen aus. A grosse Portion Adrenalin hilft beim Rest. Die Videos zur Tour gibts in den Highlights auf meinem Instagram Account – und ja, auch die unschönen Seiten!
Jeder muss für sich Verantwortung übernehmen und die Situation einschätzen können
Richtig oder Falsch – ist jetzt nicht mehr relevant. Nur, dass die Wunden heilen…
Glück im Unglück: nichts gebrochen, nichts gerissen - nur tiefe Cuts, Abschürfungen, Prellungen und Bone Bruises. 12 Tage danach die erste Tour, dahoam - auf die Goisererhütte. Oane fürs Herz. An Tag 16 musste leider das Wundmanagement eingreifen und rechts einen Drainagesteifen legen, da dieses Cut noch immer bis zum Schienbein ging (ca. 2cm tief). 5 Tage später, war der erste Zentimeter geschafft und es wurde klar, warum es dauert: Knochensplitter im Gewebe - da hat der Felsbrocken wohl auch mein Schienbein etwas malträtiert. Diese wurden entfernt und für den letzten Zentimeter ein neuer Streifen reingestopft. Stand 9.9: Drainagelage: noch 2 Tage... es geht bergauf!


1 Pingback