Die Venedigerkrone mit 5 Dreitausendern an einem Tag. Das war der Plan. Aber der Berg und das Wetter bestimmt. Immer. Auf dem Großvenediger (3666m, immerhin der vierthöchste Gipfel in Österreich) mussten wir die Hochtour im Nationalpark Hohe Tauern abbrechen… 

Das erste Mal Osttirol. Das erste Mal eine Tour mit 5 Dreitausendern. Nicht das erste Mal, dass ein Plan nicht aufgeht. Und das ist auch nicht schlimm, denn zum Glück läuft mir die Venedigerkrone (Großvenediger 3666m, am Rückweg Hohes Aderl 3504m, Rainerhorn 3560m, Schwarze Wand 3511m und Hoher Zaun 3457m) nicht weg. Aber von Anfang an…

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Blick auf Matrei in Osttirol

Die Anfahrt von München aus über Pass Thurn und den Felbertauern ist bis auf 2 kleinere Staus schnell abgehakt, von Matrei geht’s tief ins Virgental. Richtung Bergsteigerdorf Prägarten am Großvenediger und weiter bis zum Talende in Hinterbichl, unserem Treffpunkt am Hotel Heimat. Satt grüne Wiesen, Bergpanorama. Mit dem Hüttentaxi durch das Dorfertal bequem auf 2000 Meter, wo nach einem Mittagessen in der Johannishütte (2121m) die Tour startet. Im Hintergrund winken schon die Eisriesen der Venedigergruppe. Für Sigi Hatzer von den Venediger Bergführern ist es seine 951 Tour – kaum einer kennt sich da oben besser aus.

Das holzschindelgedeckte Defreggerhaus auf 2963m, eine der ältesten und höchstgelegenen Schutzhütten der Ostalpen mit spektakulärer Lage am Rande des Gletschers, wird unsere Base für die Nacht. 2 Stunden lang geht es bei Sonnenschein und Regen nach oben. Der Zettalunitzbach rauscht gewaltig neben den sanften Wiesenhänge bevor das Geländer felsiger, schroffer und alpiner wird. Nordöstlich aufwärts über Fels- und Moränenrücken. Unterhalb des zackigen Felskamm des Mullwitzköpfels entlang bis zur Hütte, kurz und knackig. Dusche gibt’s nicht aber eiskaltes Gletscherwasser (für aussen) und erfrischendes Weißbier (für innen)… Und dabei aufpassen, nicht von anwesenden, überambitionierten „Berg-Experten“ mit ungesicherten Pickeln am Rucksack oder in der Hand beim Vorbeigehen abgestochen zu werden. Kein Scherz. Die Schneise im Gesicht hätte die Tour für mich direkt beendet.

Nach dem Essen und einer kurzen Tour-Besprechung mit Materialcheck geht’s zum Sonnenuntergang auf den Grat hinter der Hütte. Es ist bereits merklich kälter, aber das Wolkenspiel und die besondere Stimmung läßt mich nicht gehen. Danach a Voglbeer-Schnapserl zum aufwärmen, guad is.

Auf dem Defreggerhaus ist noch immer die Hölle los. Im wahrsten Sinne des Wortes – voll bis unters Dach. Der Hüttenwirt Peter Klaunzer, selbst Bergführer und natürlich ausgesprochener Venediger-Kenner, ist ein uriges Unikat und der Ruhepol im Sturm. Zum Glück haben wir am nachmittag ein 4er Zimmer (zu sechst) ergattert – die Männer müssen ins Lager. Die Betten sind gar nicht so durchgelegen, aber kalt ist mir. Lange Merino-Leggins, Longsleeve, Kaschmirsocken, Hüttenschlafsack, 2 Decken… zu der noch eine dritte im Laufe der (kurzen) Nacht dazukommt.

Tag 2, 3.30 Uhr – Morgengrauen am Defreggerhaus

Nein, die Uhrzeit ist nicht erfunden. Und Morgengrauen im wahrsten Sinne des Wortes. Scheinbar für den Großteil der in der Hütte nächtigenden Weckzeit – warum? Kann und muss man nicht nachvollziehen – besonders, wenn diese Herrschaften dann um 5.15 beim Frühstück am Tisch bereits wieder schlafen – in voller Montur inkl. Klettergurt und Stirnlampe am Kopf. Nur die Steigeisen fehlen noch… Egal, lieber 2 Stunden geschlafen, als gar keine. Und müde bin ich nicht. Dafür fehlt mir aber auch eine Erklärung. Nach 6 Uhr machen wir uns fertig, die Wetterprognose (bis auf einen kurzen Schauer, der gegen 8, halb 9 vorbei sein sollte) eigentlich ganz gut. Eigentlich. Gegen halb sieben verlassen wir die Hütte nach Norden zum Rücken des Mullwitz-Aderls, wo sich der Einstieg zum Gletscher und somit auch der Anseilpunkt befindet. Es ist 7.07 Uhr, als wir zu fünft mit Siggi als Bergführer die Tour beginnen. 700hm warten bis zum Gipfel.

Nordwestlich geht es über das Rainerkees mit diversen Spalten zwischen Hohem Aderl und Rainerhorn steil bergauf zum Rainertörl (3422m). Keine 10 Minuten nach dem Einstieg zum Gletscher kommt Wind auf, dann setzt der Regen ein. Mal stärker, mal leichter. Es wird immer nebliger, die Sicht verschlechtert sich, zum Teil so sehr, dass ich unseren Bergführer vorne gar nicht mehr sehe. Und ich gehe an vierter Position. Spalten werden erst sichtbar, wenn man fast direkt daneben ist. Ausser dem Geräusch des Regens, der auf die Kapuze prasselt und den Schritten im Schnee höre ich nicht viel. Immer weiter bergauf. Fast schon medidativ – bei null Sicht lenkt auch kein Panorama ab…

Gegen Neun wird es besser – das drücken der Sonne irgendwo hinter den Wolken wird spürbar, man fühlt die Wärme. Hoffnung – vielleicht reißt es am Gipfel ja doch auf. Trotz Nebel sind viele Seilschaften unterwegs – zum Teil ein Verkehr wie aufm Felbertauern. Nach kurzer Pause geht es weiter. Am linken Rand des Oberen Keesboden entlang zum Gipfelaufbau – über den Südosthang des Großvenedigers zum Südgrat und von da zum Gipfel. Dort verschlechtert sich das Wetter erneut. Für manchen wahrscheinlich auch besser, nicht zu sehen wie schmal und ausgesetzt der Grat ist…

10 Uhr – Gipfelfoto auf 3666m. Kurze Pause und erneuter Wettercheck. Keine guten Nachrichten. Unwetterwarnung. Und als es dann auch noch zu Donnern anfängt, ist klar dass uns die restlichen Zacken aus der Venedigerkrone fallen. Sofortiger Tour-Abbruch und Rückkehr zum Defreggerhaus. So schnell wie möglich. Sicherheit geht vor. Am Rainertörl wirds wieder besser und am Rainerkees zeigt sich sogar kurz die Sonne. Aber vor und neben uns wird’s schon wieder schwarz…

Nach 5 Stunden sind wir zurück, Pause mit warmer Gerstl-Suppe plus Würschtl – danach steht ja noch der Abstieg zur Johannishütte an. Bei Sonne und Regen. Im Mix. Heiss, Nass – Jacke an, Jacke aus. Am frühen Nachmittag ist kaum einer auf dem Weg nach unten – dafür zeigen sich mindestens 25 Murmeltiere – manche posen so perfekt für Fotos, man könnte meinen der Tourismusverband hätte sie extra hingeschraubt 😉 Das erste Mal, dass ich eine Murmel-Familie mit 2 ganz kleinen Affen (Jungtiere) sehe- keinen Meter von mir weg 🙂

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Naturresort mit feiner Kräuterküche: 3*s Hotel Heimat

Zurück am Hotel Heimat – einchecken und DUSCHEN! Die Füsse kurz am Balkon in die Sonne (!) strecken, bevor es abends zum Grillen in den Garten geht. Die hoteleigene Wildkräuterschule serviert vorab einen Aperitiv mit Weisswein und Steinklee. Interessant – sieht aus wie Hugo, schmeckt aber eher säuerlich. Dazu gebackenes/frittiertes – Brennessel, Löwenzahn, Spitzwegerich,… so gut! Frische Salate, selbstgemachtes Pesto & Chutney, Gemüse und natürlich auch Steaks. So kann der Abend ausklingen – und aus trotz wird bei dem neuerlichen Regenguss auch draussen unter großen Schirmen sitzen geblieben. Unser Bergführer Siggi schaut auch noch vorbei und hat was besonderes im Gepäck – Urkunden für die Großvenediger Besteigung und einen Film, damit wir sehen, wie die Tour mit Bergpanorama aussieht.

Gegen 11 ruft aber dann doch das Bett. Das Zimmer duftet nach Holz, es ist ruhig – bis auf das rauschen des Baches. Es dauert keine Minute und ich schlafe wie ein Stein. Und träume von der Venedigerkrone… und nicht von der Horrornacht im Defreggerhaus…

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Schönes Virgental: Postkarten-Idylle in Hinterbichl

Tag 3, Rangertour im Umbaltal, Nationalpark Hohe Tauern

Nach einem ausgiebigen Frühstück wird auch schon wieder ausgecheckt. Leider. In diesem kleinen, feinen Hotel könnte ich gut noch bleiben. Hier im Virgental und auch im Rest von Osttirol gibt es noch so viel zu entdecken. Für heute steht das wildromantische Umbaltal mit seinen gewaltigen Wasserfällen auf dem Plan. Maria Mattersberger, ihrerseits Nationalpark Rangerin, begleitet uns am Natur Kraft Weg. Sie kennt jeden Winkel hier, ist in Matrei geboren und aufgewachsen. Es tut gut, die Beine zu bewegen, das schnelle Bergab gehen vom Vortag merke ich schon in den Oberschenkeln. Diese lockere 2,5h Tour eignet sich perfekt dafür – sie hat nur 414m. Wo der Gletscherbach Isel stufenweise über mittlerweile glattgeschliffenes Grüngestein fällt, wird die Kraft des Wassers sicht- und auch spürbar. Die Isel ist einer der letzten, frei fließenden Gletscherflüsse. Als Gletschermilch wird übrigens das grau oder weiß getrübte Abflusswasser bezeichnet, diese Trübung entsteht durch den Transport fein zerriebenen Gesteins im Wasser.

Nach einem Mittagessen auf Islitzeralm auf 1513m – mit typisch Osttiroler Spezialitäten wie Kas- & Schlipfkrapfn – wartet der Rückweg. Vielleicht bleibe ich aber auch einfach noch ein bisschen… Eins steht fest, ich muss wiederkommen – um mir die restlichen Zacken der Venedigerkrone zu holen!

Vielen Dank an Hansmann PR und an Eva Haselsteiner / Osttirol Werbung für die Einladung ins Virgental!

Die technisch einfache Venedigerkrone Hochtour kann bei guten Verhältnissen (Juni-Oktober) in Seilschaft in 7 Stunden (1000 hm) bewältigt werden – jedoch sollten unerfahrene unbedingt aufgrund der zahlreichen Spalten einen Bergführer buchen, z.B. Venediger Bergführer. Gute Kondition und Trittsicherheit ist Vorraussetzung, alpine Bergausrüstung ein Muss – zusätzlich Gurt, Steigeisen und Seil. Weitere Infos zur Tour –> OSTTIROL.COM

Facts Nationalpark Hohe Tauern (Salzburg, Tirol und Kärnten)

Mit einer Fläche von 1856 km2 das größte Schutzgebiet der Alpen – mit über 300 Dreitausendern innerhalb der Schutzgebiet Grenzen! Darunter auch der höchste Berg Österreichs, der Grossglockner mit 3798m. 10% sind von 246 Gletschern bedeckt. Das Großvenediger-Massiv ist die größte, Zusammenhängende Gletscherfläche der Ostalpen. Rund 10.000 Tierarten – vom Murmeltier, Gämsen, Steinböcke bis hin zu Steinadlern, Gänse- und Bartgeiern haben dort ihre Heimat. 1.500 Pflanzenarten sind hier zu finden – in üppig grünen Tälern bis hin zu den kargen, hochalpinen Regionen.

In Osttirol alleine sind es übrigens 266 Gipfel über 3000m, 342 Gletscher mit einer Gesamtfläche von 170qkm. Dazu kommen 551 Bergseen, 279 Bäche (davon 57 Gletscherbäche) und 26 große Wasserfälle.

Venediger c Nationalpark Hohe Tauern_AKZ Tschurtschentaler
Der Großvenediger-Grat… (c) Nationalpark Hohe Tauern AKZ Tschurtschentaler
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Über den Wolken… (c) Venediger Bergführer