4 Tage in Osttirol, Teil 2. Es geht ins Villgratental und in den Nationalpark Hohe Tauern, nach Kals am Großglockner. Statt Stadt unberührte Natur. Stille. Freude und Tränen – ein ganz besonders schöner Trip mit weniger schönem Abschluss… 

Das Programm für vier Tage Osttirol hätte vielfältiger und dicht gepackter kaum sein können: Rodeln nach einem Schmankerl-Dinner auf der legendären Dolomitenhütte (1616m), Skifahren am Zettersfeld mit den mächtigen Lienzer Dolomiten als Hintergrund, eine Skitour im ursprünglichen Villgratental und zum Abschluss eine Ranger-Tour im Nationalpark Hohe Tauern in Kals am Großglockner. Doch es sollte anders kommen… Teil 1 versäumt? HIER LANG!

Frühmorgens, packen – alles. Für Frühstück ist nicht wirklich Zeit. Also nur schnell Tee machen, einen Apfel, eine Banane und eine Käsesemmel zum mitnehmen und dann samt Gepäck ins Auto und zurück ins Villgratental. Bis ganz nach hinten durch, Treffpunkt und gleichzeitig Location des 5. Austrian Skitourenfestival ist Kalkstein und die wirklich hübsche Badl Alm. Mir ist dezent schlecht – ganz hinten sitzen und bei der kurvigen Strecke während des Versuchs a bissl was zu frühstücken war keine ganz so gute Idee. Aber nach dem Ankommen und sortieren des geliehenen Materials und dem Check meiner LVS-Ausrüstung in der frischen Luft geht es wieder. Was allerdings auch wieder kommt, sind meine Zweifel ob diese mittelschwere Tour die richtige für mich ist. Die knapp 1000hm Aufstieg machen mir keine Sorgen. Aber die Abfahrt. Am Vorabend hatte ich aus diesem Grund extra unserem Guide, Berg- und Skiführer Hannes Grüner darauf angesprochen und ihm meine Befürchtungen / Zweifel klar mitgeteilt. Man will ja keine Gruppe aufhalten – zumindest hab ich kein Problem damit, einfach mal ein Downgrade in eine andere Gruppe zu bekommen. So gut kann ich mich schon selbst einschätzen. Skifahren auf der Piste ist ja schon ein meilenweiter Unterschied zu Skifahren im Gelände. Egal wie gut man ist. Und im Gelände war ich diese Saison erst 2 Mal. Heute ist mein 13. Tag auf Ski – nach 27 Jahren. Er sah aber keine Probleme… na dann…

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Perfekter Tag für eine Skitour!

Aufstieg zur Marchkinkele (2545m)

Gut, nachdem wir uns trotzdem als Gruppe an den Aufstieg machen, gibt es schon die ersten Probleme mit meinem Leihmaterial. Die Felle passen nicht, lösen sich vorne zum Teil. Sub-Optimal. Besonders bergauf. Insgesamt 3x links und 2x rechts, ich bin genervt. Der Großteil der Gruppe: Experten oder Fortgeschrittene. Und ich. Und Steve House. Zumindest klappen meine Spitzkehren – der Aufstieg, vorbei an der Alfenalm durch das Marchertal ist wunderschön. Es gibt ja unzählige Tourenmöglichkeiten in den Villgrater Bergen. Unberührte Natur. Perfekter Schnee, blauer Himmel und die Sonne Italiens. Und zum Teil kein Netz. Das sollte später noch zu einem kleinen Problem werden… 

Stetig nach oben, nach der kleinen Einschartung unterhalb des Gannekofel (2488m) über den Gratrücken zum Gipfel. Endspurt zum Marchkinkele. Was für ein gewaltiges 360° Panorama. Der Karnische Kamm, die Dolomiten – sogar die Zinnen sehe ich! Auf dem Gipfel ist Rushhour, scheint eine wirklich beliebte Tour zu sein. Wir sind allerdings sowieso später dran als viele anderen und deswegen haben wir kurz danach auch den Gipfel für uns. Die Abfahrt wartet. Die Anspannung steigt. Die beiden Experten (Steve und Hannes von der Bergkrone) verabschieden sich und nehmen noch einen Gipfel mehr mit. Und so machen wir uns zu viert auf nach unten.

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Dolomiten-Blick kurz vorm Gipfel

LAST RUN DOWN – Winterende mit Panorama-Blick

Auf uns restliche 3 plus Bergführer Hannes wartet nach einer langen Querung die Abfahrt im Pulverschnee. Einzeln zu befahren – mindestens 30 Meter Abstand. Ich bin die letzte in der Runde. Erst noch etwas holprig meinerseits aber von Schwung zu Schwung klappt es besser. Oder auch nicht. Im tiefen Pulver mit zu wenig Speed (wieder mal) verkante ich. Oder was auch immer es war, ich weiß es leider nicht. Beim Sturz, der mehr ein seitliches Hinfallen ist, verdreh ich mir das linke Knie – es knackt und ploppt – die Bindung löst nicht aus. Fuck. Und ja, mein Gefühl ist kein Gutes. Ich taste das Knie ab, Schmerzen links aussen am Knochen, unterhalb des Knies. Ansonsten tut mir nix weh, ich stehe auf. Die anderen 3 weiter unten haben natürlich keine Ahnung was los ist. Das ganze sah ja auch nicht dramatisch aus. Aufstehen, weiterfahren – zumindest versuchen. Aber direkt bei der ersten Kurve sackt mein Knie weg, komplett instabil. Und spätestens da weiß ich, das wird heute nix mehr. Und wahrscheinlich wird es mit den nächsten Wochen im Schnee auch nix. Dass ich bis zu den anderen langsam irgendwie runterkomme, ist utopisch – sorry. Deswegen mache ich noch eine Spitzkehre, quere etwas Richtung Hangmitte und bleibe dann genau da wo ich bin. Warte, bis das Hannes zu mir aufsteigt. Jetzt wird aus der schönen Skitour ein schöner Alptraum. Für mich zumindest. Denn ein Notruf ist hier wg. Funkloch nicht möglich…

Notfall nach Unfall – so schnell geht’s…

Zum Glück sind wir zu viert unterwegs, Solveig eine erfahrene Alpinistin. Sie fährt zusammen mit Florian aus unserer Gruppe ab, um im Tal unten bzw. an der Alfenalm den Notruf abzusetzen. Dass das dauern wird, ist mir klar. Schmerzen? Aushaltbar und nicht wirklich schlimm, damit kann ich umgehen. Ich schaue auf die Uhr. Kurz vor 2. Die Kälte im Schattenhang hilft sicher, die Schwellung im Knie zu minimieren (rede ich mir zumindest ein). Komischerweise bin ich ganz Ruhig. Für den Fall der Fälle erinnere ich mich an das Tactical Breathing, dass ich beim Workshop Taktische Notfallmedizin auf der Alpinmesse gelernt habe. Ziehe meinen Merinopullover aus dem Rucksack zusätzlich über. Eine Bergung der Bergrettung ist keine Option – da würde der Aufstieg viel zu lange dauern. Ausfliegen per Heli die einzige Möglichkeit. Aber wo soll der hier landen? Genau dieses Problem gibt Hannes auch zu denken und er beginnt, einen provisorischen Landeplatz auszuschaufeln. Eine Art Platform, gerade breit genug für den Flieger. Einen Versuch ist es wert. An die Lawinengefahr von oben will ich gar nicht denken. Mittlerweile ist es halb 3 und mir wird echt kalt. Kein Geräusch, nur Panorama. Ich versuche mich warm zu halten, ziehe mir noch eine Jacke über. Schicht Nummer 5. Es ärgert mich, dass ich heute keine Thermosflasche mit Tee dabei habe, nur noch einen Schluck Wasser in der Flasche. Viertel vor Drei. Noch immer weit und breit nichts vom Heli zu sehen oder zu hören. Es ist Zeit, meinen Biwacksack einzuweihen. Der super kompakte Bivy Ultralight von Ortovox ist seit Anfang des Jahres immer dabei. Und es kann sich keiner vorstellen, wie sehr man sich über so eine Folie zum reinschlüpfen freut. Die Investition von 25 Euro ist nicht der Rede wert. Es dauert keine 2 Minuten und mir wird warm… und nach 10 weiteren Minuten endlich das erlösende Rattern. Bis zum ersten Landeversuch vergehen gefühlt nochmal soviele.

Er kreist und checkt die Lage & Umgebung zwecks Landung. Dann zielt er die Platform an. Schnell die Schibrille runter, Brace-Position wie im Flugzeug und in den Biwacksack reinkrallen. Die Kraft des Rotors schleudert Schneebrocken und ich bin echt froh, noch immer meinen Helm auf und die Skibrille unten zu haben. Eisige Nadelstiche im Gesicht, was genau passiert bekomme ich nicht mit. Nur das Geräusch, dass der Heli wieder davonfliegt. Ich schau auf – komplett im Schnee eingegraben. Der Notarzt kommt auf mich zu. Erster schneller Check. Sein Verdacht: Kreuzbandriss und Trauma am Knie. Wie es mir geht – soweit gut. Ob ich mit Stützung gehen/humpeln kann – klar. Problem: der Heli kann hier nicht wirklich landen, ob ich es schaffen würde, mich selbst reinzuziehen. Ja. 20 Meter weiter rüber zur Platform humpeln. Im Tiefschnee. Anstrengend. Dort hinsetzen und wieder so klein wie möglich machen. Alles festhalten. Martin 4 wird direkt neben uns landen und dann muss es schnell gehen. Beim zweiten Landeversuch Tür auf, mit dem gesunden Bein auf die erste Kufe, dann auf die Zweite. Per Klimmzug ziehe ich mich in den schwebenden Heli. Geschafft. Durchatmen. Hannes wird normal abfahren, und erstmal seinen Rucksack suchen, der beim ersten Landeversuch trotz Sicherung hunderte Meter weiter nach unten geschleudert wurde. Meinen Rucksack durfte ich mit nehmen. Auch die Ski hat der Notarzt noch eingepackt – normalerweise nicht üblich.

Kreuzbandriss und Krücken statt auf Schneeschuhen im Nationalpark

Dr. Wolfgang Kratzer checkt mich erneut durch, es ist 15.11 Uhr. Schmerzmittel? Nein, danke. Geht auch so. Vor allem werde ich die sicher später brauchen, wenn das Adrenalin und die Anspannung nachlässt. Die nächsten 5 Minuten genieße ich den Ausblick auf Osttirol von oben – das lenkt a bissl vom Denken ab.

Landung BKH Lienz, per Rollstuhl in den Schockraum der Ambulanz für Sporttraumatologie. Vor der Tür: 2 paar Tourenski… da bin ich wohl heute nicht die einzige. Meine Skitourenschuhe werden mir gekonnt ausgezogen, bevor mir staunend beim ablegen meiner ganzen Jacken-Pullover-Longsleeve-Schichten zugeschaut wird. Da meine Beine eiskalt sind, bekomme ich eine vorgewärmte Decke und werde nach kurzer Begutachtung & Check vom Oberarzt direkt zum Röntgen in den nächsten Raum geschoben. Von vorne, seitlich und wieder retour in den Schockraum für die Schockdiagnose. Kreuzbandriss und Segond-Fraktur. Näheres muss per MRT abgeklärt werden – hat aber Zeit bis Montag, wenn ich wieder in München bin. Dr. Leo Lang versucht mir so schonend wie möglich das Ende meines Winters zu offenbaren. Klappt nicht wirklich. Aber wenigstens muss ich nicht in der Klinik bleiben. Mit Krücken, Röntgen-CD und Rezepten bewaffnet bin ich eine Stunde später wieder draussen. Also bis im Gang, weil dort erwarten mich schon zwei charmante Herren von der Polizei. Befragung zum Unfallhergang. Kurz und schmerzlos. Mein Flugrettungsarzt bringt schon den nächsten Patienten und kommt danach kurz vorbei um zu fragen wie’s mir geht. Ehrlich gesagt bin ich froh, wenn ich gleich abgeholt werde und mit den anderen nach einem Apothekenzwischenstopp ins Hotel kann… nicht irgendein Hotel. Das Gradonna ****S Mountain Resort in Kals am Großglockner. Dort gibt es dann für mich statt Wellness und entspannen im Pool vakumierte Eispackungen fürs Knie…  Erkundung des Hotels ist leider flachgefallen. Aber aufgeschoben ist ja aufgehoben 😉 Das Date mit dem Nationalpark-Ranger am nächsten Tag ist für mich natürlich auch gestorben – mit dem Schlitten ziehen wollte mich auf der Schneeschuhwanderung in den Hohen Tauern auch keiner freiwillig 😉

Warum ich das alles so genau beschreibe? Weil ich noch nie in dieser Lage war und viele andere garantiert auch nicht. Vorbereiten kann man sich nicht darauf. Aber daraus lernen. Man muss keine Angst haben in solchen Situationen – allerdings sollte man versichert sein. Egal ob ADAC Schutzbrief oder Alpenverein. 1 Flugminute schlägt mit knapp 100 Euro zu Buche (92,87 um genau zu sein). Meine Einsatzdauer: 53 Minuten. Durchschnitt bei einer Flugrettung: 30 Min. Dazu kommen eine Bereitstellungsgebühr (400 Euro) und der Pauschalbetrag für die ärztliche Betreuung mit 523 Euro. Happy Kalkulation!

Was ich daraus gelernt habe?

  • Nicht unbedingt mitziehen lassen wenn die Gruppe zu unterschiedlich ist (Profi/Fortgeschrittener meets Anfänger), außer es ist von vorne herein klar, dass die Tour für einen selbst machbar ist.
  • Bei einem Skitourenfestival bestenfalls nur vor Ort Equipment (Ski) ausleihen. Mein Leihmaterial war aus dem Winter 2013/2014 (Anmerkung: nicht vor Ort sondern am Vortag in Lienz geliehen). Muss nichts heissen – aber: passen die Felle nicht zu Ski macht der Aufstieg keinen Spass! Und trägt auch nicht unbedingt zur Sicherheit bei. Vor Ort bei den Herstellern findet sich sicher was passendes!
  • Die gesunde Selbsteinschätzung geht vor – Know your Limits!
  • Immer das eigene Tempo gehen, Pausen machen und nicht hetzen lassen
  • Die Tour sollte immer an den Schwächsten der Gruppe angepasst werden (Geschwindigkeit/Routenwahl/Abfahrt)
  • Lieber overequippt als jemals wieder ohne Biwaksack
  • 140 sollte sich JEDER als Alpin-NOTRUFNUMMER in Österreich einspeichern

Eine absolut reibungslose Rettungsaktion, bei der alles Hand in Hand gegriffen hat. Der Zeitfaktor ist eben nicht immer kalkulierbar, besonders wenn der Unfallort im Funkloch liegt. Der Helikopter wurde laut Einsatzbericht um 14.40 alarmiert und ist um 15.03 gelandet. Ein herzliches Danke an Bergführer Hannes Grüner, Dr. Wolfgang Kratzer & der Flugrettungscrew des Martin 4 sowie an OA Dr. Leo Lang / BKH Lienz, Ambulanz für Sporttraumatologie.

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Im nächsten Winter komm ich wieder ins Villgratental, versprochen!

Vielen Dank natürlich auch nochmals an die Österreich Werbung für die Einladung zu dieser Pressereise und an Eva Haselsteiner vom TVB Osttirol für die nette Betreuung! Sorry für die unplanmässige Zusatz-Veranstaltung meinerseits… 

PS: im HOUSE TOUREN BOOKLET gibt es 10 Skitouren von Steve House mit genauer Beschreibung – für jeden Geschmack/Können. Plus Tipps & Ausrüstungsleitfaden. Außerdem gibt es bis April wöchentlich fix geführte Skitouren mit den Osttiroler Berg- und Skiführern für 75 Euro/Person (Mindestteilnehmer: 4, Voranmeldung erforderlich). Alle Infos dazu –> www.berg-osttirol.at